Interviews

DiverCity: Accenture Consulting-Director Stéphane Bonutto über Authentizität, LGBTQ+ und Co.

Junge Talente erwarten Wertschätzung ihrer Persönlichkeit

In unserer Reihe „DiverCity“ beleuchten wir die unterschiedlichen Facetten von Diversität in der Arbeitswelt und zeigen auf, wie Vielfalt zum Erfolgsfaktor für Unternehmen werden kann. In dieser Ausgabe haben wir mit Stéphane Bonutto, Finance Consultant bei Accenture und Diversity Coach, über Authentizität, LGBTQ+ und genderfreien Erscheinungsbildern in Unternehmen gesprochen.

„Sei einfach du selbst.“ Eine Verhaltensmaxime, die Arbeitnehmer:innen vor dem kommenden Bewerbungsgespräch oder dem ersten Arbeitstag im neuen Job nur allzu oft hören. Denn klar ist: Ein Arbeitsumfeld, in dem Angestellte authentisch sein können, steigert nachweislich die Zufriedenheit und Produktivität im Unternehmen. Das weiß auch Stéphane Bonutto (Principal Director bei Accenture), der sich seit Jahren für empathische Führungskulturen stark und als Gründer der Initiative The Heads Count die Themen Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion sichtbar macht.

Wie wichtig Authentizität im Arbeitsumfeld ist, erfährt Bonutto im wörtlichen Sinne am eigenen Leib. Als Cis-Straight-Mann trägt der aus Frankreich stammende Finance- und Diversity-Consultant gerne Kleidung, die ursprünglich für Frauen entworfen wurde. Dass er sich so ausdrücken kann, wie er sich fühlt, helfe ihm bei der Argumentation, dass stets die Person und nicht das Erscheinungsbild im Vordergrund stehen sollten. Welche unternehmerischen Vorteile das Konzept von Diversität mit sich bringt, warum Mitglieder der LGBTQ+ Community Angst vor dem Outing haben und warum nach außen getragene Individualität ein Auslöser für Zugehörigkeit sein kann, hat uns Stéphane Bonutto im Interview verraten.

Als Consulting-Director für die Bereiche Finanzen und Diversität treiben Sie sowohl die Business Performance als auch Vielfalt im Unternehmen voran. Wie passen diese zwei Felder überhaupt zusammen?

Langfristiger Erfolg ist nur mit Menschen erreichbar, die motiviert sind und sich auch mit ihrem Arbeitergeber identifizieren können. Dafür ist die Wertschätzung aller Menschen ein Schlüsselfaktor. Damit diese ihre unterschiedlichen Facetten zeigen können, muss jedoch ein sicheres Businessumfeld geschaffen werden, in dem alle respektiert werden, so wie sie sind, auch bzw. gerade für ihre unerwarteten Facetten. Bei Accenture leben wir Diversität und eine starke Kultur der Inklusion. Für uns ist das nicht nur das einzig Richtige, sondern auch der Schlüssel zum Erfolg, denn sie beflügeln unser aller Innovationskraft und Kreativität. Mir ist es wichtig, dass sich mein Arbeitgeber in diesem Bereich stark macht, da auch ich das täglich tue. Accenture fördert beispielsweise interne Initiativen wie Employee Resource Groups, also Netzwerke, die durch Mitarbeitende getrieben werden und sich mit spezifischen Diversitätsthemen befassen – z. B. Gender, Generationen, Mental Health, LGBTQ+, Cross-cultural uvm. Sie sorgen aktiv für einen Informationsaustausch, Identifikation und Integration innerhalb der Firma. Als Accenture Diversity & Inclusion Business Unit beraten wir unsere Kund:innen, wie sie diese kulturelle Transformation bei ihnen erfolgreich umsetzen können. Unser Leistungsspektrum erstreckt sich von der Lösung einzelner D&I-Themen bis zur gemeinsamen Erstellung einer Diversität- und Inklusionstrategie sowie der Begleitung ihrer Umsetzung.

Wie genau treiben Sie das Thema Diversität in Ihrem beruflichen Umfeld an?

Mir ist es wichtig, dass das Thema in all seinen Dimensionen wahrgenommen und verstanden wird. Sicherlich wird das Bewusstsein hinsichtlich Gender bzw. LGBTQ+ immer größer, doch um das Aufkommen neuer Klischees entgegenzuwirken, ist es aus meiner Sicht wichtig, dass wir alle Differenzierungsdimensionen betrachten und uns täglich vor Augen führen. Diversität, das sind wir alle. Daher spreche ich lieber von Einzigartigkeit, damit alle sich inkludiert fühlen. Es ist wichtig, Barrieren fallen zu lassen und nicht den Eindruck entstehen zu lassen, es gäbe eine Gruppe „diverser“ Menschen, die von den „anderen“ zwar anerkannt wird, aber im Grunde doch „die anderen“ bleiben. Wir sind in unserer Einzigartigkeit alle Teil der Diversität. Dazu gehört auch, dass wir Gleichberechtigung und Chancengleichheit in unserem Berufsalltag leben, über alle Ebenen und Karrierelevel hinweg.

Gibt es schon Erfolge, die Sie mit Ihrem Engagement feiern konnten?

Das schönste Gefühl ist es, wenn Kolleg:innen bzw. Mandant:innen beispielsweise nach Vorträgen oder Workshops auf mich zukommen und mir mitteilen, dass sie das Thema Diversität jetzt deutlich besser und vor allem in seinem vollen Umfang verstanden haben. Erst neulich sagte mir eine Führungskraft von einem Mandantenunternehmen, dass infolge unseres Projektes der Umgang innerhalb der Belegschaft sich spürbar respektvoller und inklusiver entwickelt habe und die Kreativität der Menschen deutlich gestiegen sei. Dies zu hören, hat mich mit der Zufriedenheit erfüllt, das Richtige für die Menschen und das Unternehmen geleistet zu haben.   

Wie trägt Diversität und Inklusion zur Unternehmenskultur dabei?

Diversität und Inklusion geben allen Menschen die Chance, bei der Arbeit so zu sein, wie sie wirklich sind. Das heißt, dass sie ihr wahres Ich auch auf die Arbeit mitbringen können. Als ich vor vielen Jahren meine berufliche Laufbahn begonnen habe, wurde von Angestellten erwartet, dass sie einem festgelegten Bild eines Berufes oder einer Funktion entsprechen. Das hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Die Unternehmenskultur profitiert davon und wird umso reicher, weil sie aus der Vielfalt der Menschen in ihrer Individualität besteht. Schafft ein Unternehmen einen „Safe Space“, in dem alle ihre Internationalität, Kultur und ihre Persönlichkeitsmerkmale frei leben können, steigt die Identifikation mit dem Unternehmen erheblich.

Insbesondere junge Talente legen viel Wert auf eine eine offene Unternehmenskultur. Wie sollten Unternehmen Recruiting und Einstellungsprozesse überprüfen, um beispielsweise Mitglieder der LGBTQ+-Community anzusprechen?

Gerade junge Talente erwarten von Organisationen, dass ihre Persönlichkeit wertgeschätzt wird und dass die sogenannte Chemie zwischen Mensch und Organisation stimmt. Im Grunde wollen sie die Unternehmenskultur mitgestalten. Das war wahrscheinlich vor einigen Jahren noch nicht so ausgeprägt. Das Ansprechen von Mitgliedern der LGBTQ+ Community muss eine gewollte, aktive Vorgehensweise des Unternehmens sein. Dies muss als erstes erarbeitet und ggf. mit einem klaren Commitment kommuniziert werden. Unter diesen Voraussetzungen sollten Stellenanzeigen entsprechend formuliert werden. Es sollte klar herauszulesen sein, dass hier jede:r nicht nur akzeptiert, sondern ermutigt wird, so zu sein, wie sie oder er es will. Das ist die erste Hürde, die es zu nehmen gilt, um die mögliche Scheu seitens der Bewerber:innen zu beseitigen und ein Vertrauensgefühl zu erwecken. Darüberhinaus gibt es auch innovative Recruitmentplattformen bzw. Messen, wo Menschen aus unerwarteteten Horizonten mit Unternehmen in Kontakt kommen können. In diesen Plattformen sehe ich große Chancen, dass sich Unternehmen und Arbeitnehmer:innen kulturell annähern. Als Accenture Diversity & Inclusion Business Unit nehmen wir aktiv an solchen Messen teil, um einzigartige Talente anzusprechen und Accenture als attraktiven und inklusiven Arbeitgeber zu positionieren.

Laut einer Studie der Boston Consulting Group wollen sich 28 Prozent der deutschen und österreichischen Mitglieder der LGBTQ+-Gemeinschaft nicht outen – unter anderem auch wegen fehlender Vorbilder im Kollegium. Sie gehen mit Ihrer Vorliebe für Kleidung, die ursprünglich für Frauen entworfen wurden, offen um und gehen als Mann auch mal in High Heels ins Büro. Können Sie hierbei eine solche Vorbildfunktion einnehmen?

Sagen wir, dass ich aus den „Frauenkleidern“ meine Kleider gemacht habe. Ich sage eher, dass ich mich „genderfree“ kleide, d. h. je nach Stimmung und Situation bediene ich mich aus allen Registern der Kleidung, die ursprünglich für das eine oder das andere Geschlecht geschaffen wurden. Dabei bin ich weiterhin cis-straight man, das ist mir auch wichtig an der Stelle zu sagen. Ich benutze meinen Kleidungsstil als sichtbares Zeichen, um anderer Menschen zu ermutigen, sich so zu zeigen, wie sie sind. Gerade weil ich eine Führungskraft bin, hoffe ich und denke ich, dass es eine Signalwirkung hat. Die Vorbildfunktion durch die Vorgesetzten ist extrem wichtig. Es ist also in unserer Verantwortung, durch  Aktionen klare Zeichen zu setzen. Ich sage nicht, dass alle Männer sich so kleiden sollten wie ich (lacht). Ich sage, dass jeder Mensch andere durch die eigene Authentizität ermutigen kann, sich so zu zeigen, wie sie sind. Bei Accenture leben wir das Motto: Bring your authentic self to work. Hoffentlich wird in der Zukunft dann auch nicht mehr von „Outing“ gesprochen, wenn alle sich grundsächlich so zeigen, wie sie sind.

Braucht es diese Vorbilder nicht auch auf Führungsebene?

Ja, ganz gewiss braucht es Vorbilder gerade auf der Führungsebene. Wie gesagt, hat das vor allem etwas mit Authentizität und Integrität zu tun. Auf Englisch ist es der „Tone from the Top“ oder „Walk the Talk“. Die Startsignale entstehen auf der Führungsebene und strahlen dann in die gesamte Organisation. Nur so können wir eine Unternehmenskultur der Gleichberechtigung schaffen, in der wir alle so sein können, wie wir sind.

Die Untersuchung ergab auch, dass Angst vor beruflichen Einschnitten als Grund genannt wurde, sich nicht zu outen. Was können Unternehmen für ein LGBTQ+-freundliches Arbeitsumfeld tun, damit Sie alle Mitglieder der Community zugehörig fühlen und wie kann beispielsweise kununu dabei helfen?

Das Thema Angst und Scham ist leider sehr präsent, gerade was die Auswirkung auf die Karriere angeht. Laut unserer Getting to Equal Studie ist in Deutschland mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden der Überzeugung, dass ihre Geschlechtsidentität bzw. sexuelle Orientierung ihre berufliche Entwicklung verlangsamt hat. Viele Menschen nehmen also einen Kompromiss mit ihrer Persönlichkeit in Kauf, um ihrer Karriere vermeintlich „nicht zu schaden“. Auch ich habe mir diese Fragen gestellt. Ich habe diese „Risiken“ in Kauf genommen, weil ich die Intuition habe, dass der Zeitgeist im Unternehmen jetzt auf der der Suche nach Persönlichkeiten ist und nicht mehr nach einer Uniformität – und bin letztlich bei einem Unternehmen gelandet, dass mich in dieser Ansicht unterstützt. Charaktere bilden Organisation und machen sie ebenfalls einzigartig, sichtbar und erkennbar.

Um dieser Situation entgegenzuwirken, sollten Unternehmen auf jeden Fall klare Signale senden, dass alle Menschen die gleichen und fairen Karrierechancen haben, egal wie ihre Persönlichkeitsmerkmale aussehen. Dies mag für einige Unternehmen noch eine sehr fortschrittliche Haltung sein, sollte aber nicht verhandelbar sein. Vor allem auch, weil es Organisationen einen echten Wettbewerbsvorteil bringt, wenn sich möglichst vielfältige Menschen mit unterschiedlichen Blickwinkel, Erfahrungen, Weltanschauungen und Fähigkeiten bewerben. Menschen und das Umfeld sollten sich zusammen entwickeln, um die Balance zu halten. kununu kann diese Entwicklung unterstützen, indem gezielt die Möglichkeit gegeben wird, von Erfahrungen auf diesem Gebiet zu berichten, damit der Fortschritt sichtbar wird.

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