Führungskraft und 3-facher Autor Roman Gaida über Vereinbarkeit und Unternehmenskultur

Stärkere Mitarbeiter:innenbindung durch bessere Vereinbarkeit

Gastbeitrag von Roman Gaida

Im Ringen um Talente haben familienfreundliche Unternehmen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil: Gerade die nach 1980 geborenen Angehörigen der Generation Y und Z möchten ihre Karriere ganz selbstverständlich mit Kindern kombinieren.

Schon 2016 gaben 64 Prozent der befragten Generation-Y-Professionals an, dass sie nicht bei einem Unternehmen anfangen würden, das keine wirkliche Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglicht. Sie lassen sich nicht mehr mit einem höheren Gehalt ködern: Werden ihnen woanders zehn Prozent mehr geboten, wechseln sie nicht, wenn das jetzige Unternehmen eine bessere Vereinbarkeit bietet. Die Transferkosten, die einem Unternehmen entstehen, das durch mangelnde Familienfreundlichkeit eine:n Mitarbeiter:in verliert, sind viel höher, als wenn die Abteilung dem Wunsch eines Vaters nach mehr Zeit mit der Familie und weniger Überstunden nachkommt.

Ich habe mit dem HR-Consultant Toygar Cinar darüber gesprochen, wie teuer es sein kann, gute Mitarbeiter:innen zu verlieren. Laut dem Headhunter sollten erfolgreiche Unternehmen Vereinbarkeit als Chance betrachten und diese auch nutzen. Er meint: „Loyale Mitarbeiter, gleich ob Führungskräfte oder nicht, leisten eine nachhaltige und höhere Performance, wenn sie nicht im Konflikt zwischen Familie oder Beruf stehen. Vielmehr suchen sie nach einem Umfeld, in der Familie und Beruf vereinbar sind. Wenn Unternehmen dies ermöglichen, dann werden sie sich weniger Gedanken um Recruiting und Mitarbeitergewinnung machen müssen. Employer Branding wirkt nicht mit markigen Sprüchen und bunten Bildern. Es wirkt mit Emotionen und psychologischer Sicherheit. Wenn Väter keine Angst davor haben, dass sie Performance und Familie vereinbaren dürfen, dann strahlen sie diese Sicherheit auch auf ihr Team aus und führen ganz anders.“

Unternehmen, die das nicht umsetzen wollen oder können, werden Mitarbeiter:innen verlieren, dessen ist sich Cinar sicher. Die Angst, durch die Elternzeit eines Vaters an Umsatz zu verlieren, sollte der Angst weichen, die wichtige Arbeitskraft und das Commitment der Väter zu verlieren. Was es kostet, Mitarbeitende zu verlieren und zu ersetzen, rechnet Toygar Cinar direkt vor. Dabei müssen mit betrachtet werden: das Gehalt der Position, die Rekrutierungskosten intern, die Trainingskosten, der Produktivitätsverlust und die Dauer, bis der:die Kandidat:in bei 100 Prozent ihrer:seiner Perfomance ist.

Von der Idee bis zur Einstellung vergehen sehr oft drei bis sechs Monate oder sogar ein Jahr. Bis dahin sind bereits mehrere Personen wie HR, Hiring Manager:in und Co. eingebunden.

Ein Beispiel:

• XX XXX Euro Gehalt p.a.

• 15 000 Euro Rekrutierung

• 8 000 Euro Trainingskosten

• 4 bis 8 Monate Dauer, bis 100 Prozent Produktivität erreicht wird

Wie viel kostet es also, eine Stelle neu zu besetzen? Oft 65.000 Euro oder mehr.

Diesen Kosten gegenüber stehen ein paar Monate oder auch ein Jahr Elternzeit, weniger Überstunden und mehr flexible Arbeitszeitmodelle wie Gleitzeit.

Wenn ein Unternehmen keine Vereinbarkeit zulässt, wird es die Mitarbeiter:innen und vor allem die High Potentials nicht halten und binden können. Die Studie der Campus M University mit dem Titel „Generation Y: Warum Vereinbarkeit die neue Währung für soziale Nachhaltigkeit ist“ kam im Oktober 2021 daher auch zu dem Schluss: „Vertreter:innen der Generation Y ziehen ihre Motivation vor allem aus Arbeitsbedingungen, die die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben ermöglichen bzw. verbessern.“ Wenn ein Unternehmen solche Arbeitsbedingungen schafft, darf es sich über produktivere, motiviertere und glücklichere Mitarbeiter:innen freuen.

Eine Frage der Vorbildfunktion

Wie gelingt es, diese Arbeitsbedingungen zu schaffen und eine Unternehmenskultur hin zu mehr Vereinbarkeit zu ändern? Die einfache Antwort lautet: Es hängt von den Menschen ab – besser gesagt, von den Führungskräften. Das bestätigt auch die Vereinbarkeits-Studie „Mehr Aufbegehren. Mehr Vereinbarkeit!“ der Unternehmensberatung A.T. Kearney. Gehen Führungskräfte oder direkte Vorgesetzte mit gutem Beispiel voran, glauben 79 Prozent der Eltern an eine gute Vereinbarkeit von Karriere und Familie, heißt es darin. Leben Führungskräfte oder der:die direkte Vorgesetzte keine Vereinbarkeit vor, sinkt der Prozentsatz auf 12 beziehungsweise 17 Prozent.

Gerade in großen Konzernen ist es interessanterweise so, dass Führungskräfte selbst entscheiden können, welchen Raum sie der Familienfreundlichkeit geben möchten. Es ist eine Einstellungsfrage. Ich arbeite in einem Konzern und würde behaupten, dass wir als Geschäftsbereich einen guten Weg gefunden haben, Vereinbarkeit als Teil der Unternehmenskultur zu betrachten und Dinge neu zu denken.Mit Erfolg: Im vergangenen Jahr haben in meinem Geschäftsbereich mit über 160 Mitarbeiter:innen, den ich über fünf Jahre weiterentwickeln und digitalisieren durfte, vier Väter Elternzeit genommen. Alle vier haben es mir an dem Tag mitgeteilt, an dem sie es auch ihren Familien und Freund:innen gesagt haben, also etwa am Ende des dritten Schwangerschaftsmonats. So hatte ich sechs Monate Zeit, um zu planen – dann ist der Ausfall der Väter eigentlich einfach zu überbrücken.

Bei Schicksalsschlägen oder Unfällen ist ein:e Mitarbeiter:in von heute auf morgen weg, und auch da müssen wir den Alltag geregelt bekommen. Deshalb können und müssen wir unsere Mitarbeiter:innen darin unterstützen, die glücklichste Zeit in ihrem Leben zu gestalten, und dürfen ihnen nicht zusätzliche Steine in den Weg legen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind in allen Firmen dieselben. Die Frage ist allerdings: Wie geht der:die Vorgesetzte damit um? Unternehmen müssen Elternzeit ermöglichen, gleichzeitig sind es die Führungskräfte, die das Wie vorgeben. Elternzeit muss nicht nur möglich, sondern auch gewollt sein. Prahlt der Vorgesetzte etwa damit, bereits einen Tag nach der Geburt wieder im Büro gewesen zu sein, setzt er damit ein Zeichen, dass Elternzeit eben nicht gewollt ist.

Viele Führungskräfte sagen ihren Mitarbeiter:innen zwar: „Ja, Elternzeit kannst du auf jeden Fall nehmen“, aber tun es selber nicht. Auch das ist ein indirektes Zeichen an die Belegschaft, das Väter abschreckt. Väter brauchen ein positives Vorbild und oftmals auch einen Schubs in die richtige Richtung.

Psychologisch einen sicheren Raum schaffen

Für familienfreundliche Führungskräfte gehört es dazu, für seine Mitarbeiter:innen einen sicheren „Raum“ zu schaffen, in dem auch mal über Privates und die Familie geredet werden kann. In ihrem Buch „Die angstfreie Organisation“ beschreibt Harvard-Professorin Amy C. Edmondson psychologische Sicherheit als die Überzeugung, dass die Arbeitsumgebung sicher genug ist, um darin zwischenmenschliche Risiken einzugehen. Als eine der weltweit einflussreichsten Denkerinnen im Management

und der Personalentwicklung sieht Edmondson gerade die Führungskräfte als Gestalter:innen dieser Arbeitsatmosphäre.

Meiner Ansicht nach gelingt dies nur durch aktives Vorleben, Offenheit und echtes Interesse an seinen Mitarbeiter:innen. Für eine Führungskraft sollte es selbstverständlich sein, sich für ihre Teams aufrichtig zu interessieren. Schließlich verbringt sie im Idealfall 80 bis 90 Prozent ihres Tagesgeschäfts damit, andere zu führen. Und dazu sollte sie ihre Mitarbeiter:innen auch kennen und wissen, wer Kinder und wer welche Challenges gerade zu meistern hat.

Wenn ich mit jemandem aus meinen Team spreche, versuche ich auch Raum zu schaffen um über private Themen zu sprechen – wie es den Kindern geht und ob die Tochter, die das letzte Mal böse aufs Knie gefallen war, wieder fit ist. Indem ich proaktiv danach frage, schaffe ich für meine Mitarbeiter:innen einen sicheren Raum, in dem sie sich dann auch trauen, auf mich zuzukommen, wenn es Probleme daheim gibt. Die A.T. Kearny-Studie hat herausgefunden, dass diejenigen, die sich jederzeit vertrauensvoll an ihre:n Vorgesetzte:n wenden können, um über Vereinbarkeit zu sprechen, zu 65 Prozent eine Vereinbarkeit von Karriere und Familie im Unternehmen gegeben sehen. Diejenigen, die dies nicht können, tun dies nur zu 14 Prozent.

Gibt es diesen sicheren Raum nicht, trauen sich Mitarbeiter:innen vielleicht nicht, frühzeitig auf das Thema Elternzeit zu sprechen zu kommen. Dann reichen sie erst sieben Wochen vor der Geburt den Antrag auf Elternzeit ein. Für die Führungskraft wird es schwierig, in dieser kurzen Zeit das Team neu zu strukturieren, und sie fühlt sich in ihrem Vorurteil bestätigt, dass Elternzeit nur Probleme macht. Der:Die nächste Mitarbeiter:in bekommt das mit, traut sich dann nicht, nach Elternzeit zu fragen, und der:die übernächste Mitarbeiter:in kündigt vorsorglich, wenn sich ein Kind ankündigt, weil er:sie sieht, dass es mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei seinem:ihrem Unternehmen nicht weit her ist. Diese Spirale schadet nicht nur den Unternehmen in ihrem Ringen um Talente, sondern auch dem Betriebsklima. Die Führungskraft ist es also, die durch ihre Einstellung darüber entscheidet, wie Elternzeit erlebt wird: planbar und freudvoll oder unvorhersehbar mit einer ordentlichen Portion Frust.


Als Vater von Zwillingen und Manager verarbeitet Roman Gaida in seinem aktuellen Buch „Working Dad: Vereinbarkeit von aktiver Vaterrolle und Karriere leben“ seine Erfahrungen als arbeitender Vater. Dabei gibt der dreifache Autor wertvolle Tipps, wie man Karriere und Familie erfolgreich verbinden kann, ohne dabei sich selbst, den Partner, die Kinder oder den Job zu vernachlässigen. Auch in Keynotes und Panels betont Gaida immer wieder die Bedeutung einer reflektierten Einstellung und individuellen Planung, um die richtigen Karriereschritte zu wählen und den persönlichen Erfolg zu definieren und welchen Anteil die Unternehmenskultur daran hat.

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