Der intensive Wettbewerb um qualifiziertes Personal spitzt sich weiter zu – gerade für KMU in Deutschland ist Employer Branding daher von entscheidender Bedeutung. Nur wer eine zielgruppenorientierte Strategie verfolgt und Schritte entsprechend umsetzt, wird belohnt – mit zufriedenen Mitarbeitenden und wirtschaftlichem Erfolg.
Kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) bilden das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Und sie stehen im harten Wettbewerb mit anderen nationalen und internationalen Unternehmen. Und während Großkonzerne bereits oft über eine gewisse Bekanntheit verfügen, kämpfen viele KMU um Sichtbarkeit – und damit auch um qualifiziertes Personal.
Dieser Wettbewerb wird durch unterschiedliche Herausforderungen weiter verstärkt. Darunter die schleppende Digitalisierung und der Wandel vom Arbeitgeber:innen- zum Bewerber:innenmarkt. Zudem hat sich der Fachkräftemangel inzwischen zu einem generellen Arbeitskräftemangel ausgeweitet. Der demografische Wandel beeinflusst den Arbeitsmarkt dabei zunehmend. Dadurch ergeben sich für neue Generationen wesentliche Chancen, Arbeit nach eigenen Vorstellungen zu gestalten und neu zu denken – sowohl Großkonzerne als auch KMU sollten diese Entwicklung ernst nehmen und entsprechende Schritte setzen.
Bekannte, aber ungelöste Probleme
Das Institut für Mittelstandsforschung Bonn führt das Zukunftspanel Mittelstand durch. Es zeigt auch 2023 deutlich, dass der Fachkräftemangel weiterhin die größte Herausforderung für mittelständische Unternehmen darstellt. Etliche weitere Statistiken und Untersuchungen zeigen beunruhigende, wenngleich längst nicht wirklich neue Fakten zum Arbeitskräftemangel.
Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpB) veröffentliche im Juni 2023 Daten des Statistischen Bundesamtes. Sie betreffen die Bevölkerungsdynamik und Altersverteilung, die sich bis zum Jahr 2070 wesentlich verändern. Demnach geht der Prozentsatz der Personen im arbeitsfähigen Alter (20 bis 66 Jahre) in den kommenden Jahren signifikant zurück. Bis 2040 wird dieser Anteil im Vergleich zum Jahr 2000 um etwa acht Prozent fallen.
Ähnliche Ergebnisse werden auch durch andere Studien bestätigt. Dr. Julian Stahl von der NEW WORK SE merkt an, dass Deutschland bis zum Jahr 2035 vor einer riesigen Herausforderung steht. Seiner Aussage zufolge verliert das Land täglich rund 1000 Arbeitskräfte – selbst in Szenarien mit hoher Zuwanderung. Eine beunruhigende Entwicklung, die spätestens jetzt Arbeitgeber:innen zum Umdenken bewegen sollte.
Mehr als nur leere Versprechen
Um im Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter:innen bestehen zu können, müssen KMU also aktiv werden. Employer Branding kann hierbei zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil führen.
Ein einfacher Slogan reicht aber längst nicht mehr aus, vielmehr geht es um eine klare Arbeitgeberidentität, moderne Werte und motivationssteigernde Arbeitsbedingungen. Workwashing ist hier genauso fehl am Platz wie Green- oder Pinkwashing. Es ist Authentizität gefragt, denn Kandidat:innen reagieren sehr sensibel auf irreführende Werbeversprechen.
Das belegt schon eine 2019 in Auftrag gegebene Studie von Trendence. Das interuniversitäre Forscherteam unter der wissenschaftlichen Leitung von Katharina Pernkopf (Universität Innsbruck), Markus Latzke (IMC FH Krems) und Wolfgang Mayrhofer (WU Wien) wollte wissen, welche Auswirkungen die Diskrepanz zwischen Aussagen der Unternehmen auf ihren Karrierewebseiten im Vergleich zu Kommentaren auf Arbeitgeberbewertungsportalen haben.
Neben vielen weiteren erschreckenden Erkenntnissen, schockieren hauptsächlich zwei Zahlen: Ein Missverhältnis zwischen der Arbeitgeberkommunikation und den Bewertungen von Mitarbeiter:innen führt dazu, dass sich mehr als die Hälfte der Kandidat:innen von einer Bewerbung bei dem Unternehmen absieht. 26,7 Prozent der Kandidat:innen will sich sogar nie mehr bei dem Unternehmen bewerben.
Wie gesagt: Authentizität ist der Schlüssel zum Erfolg.
Um den Status „authentisch“ zu erreichen, braucht es Zeit. Unter anderem deshalb ist Employer Branding ein kontinuierlicher und langfristiger Prozess, der die sich wandelnden Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen muss. Unternehmen, die das beherzigen sowie flexibel und am Puls der Zeit bleiben, haben beste Chancen, geeignete Kandidat:innen anzuziehen und langfristig an sich zu binden. Doch Employer Branding umfasst mehr als nur das Image des Unternehmens: Es geht darum, eine positive Unternehmenskultur zu schaffen, die den individuellen Fähigkeiten und Potenzialen der Mitarbeitenden ausreichend Raum gibt.
Employer Branding für KMU: Rolle der Mitarbeitenden & Retention
Vereinfacht gesagt gibt es drei Arten von Mitarbeitenden: potenzielle, aktuelle und ehemalige. Ehemalige Mitarbeitende spielen in Zukunft eine viel wichtigere Rolle als bislang. In zu vielen Unternehmen gelten Ex-Mitarbeitende heute als „verbrannt“. Ein Fehlschluss, von dem wir in Zeiten knapper Arbeitskräfte dringend Abstand nehmen sollten. Vielmehr sollten Arbeitgeber:innen den Blick auf die wertvollen Erfahrungen richten, die die sogenannten „Boomerang-Hirings“ mitbringen, wenn sie zurückkehren.
Bei aktuellen Mitarbeitenden sollten Arbeitgeber:innen darauf achten, dass sich diese wohlfühlen und dem Unternehmen treu bleiben, um Kosten und Risiken durch etwaige Fluktuationen zu minimieren. Die positive Bindung, bekannt als Retention, hängt von verschiedenen Faktoren ab, die unter anderem Bezahlung, positive Unternehmenskultur, passende Aufgaben sowie Benefits umfassen. Regelmäßige Befragungen von Mitarbeiter:innen helfen dabei, Veränderungen in den Bedürfnissen der Belegschaft zu erkennen. Dabei können besonders KMU oft mit Vorzügen (flache Hierarchien, Flexibilität, Kundennähe, persönliche Arbeitsatmosphäre etc.) punkten, die Großunternehmen aufgrund ihrer Strukturen nicht vorweisen können.
Potenzielle Kandidat:innen überzeugen
Neben aktuellen Mitarbeitenden soll die Arbeitgebermarke insbesondere neue Kandidat:innen überzeugen. Es ist daher essenziell zu wissen, wo diese sich aufhalten. Das Medien-Nutzungsverhalten, vornehmlich der jüngeren Zielgruppen, hat sich in den vergangenen Jahren deutlich gewandelt. Hilfreiche Einblicke dazu gibt es im zweiten Teil dieser Artikelserie: Wie Arbeitgeber:innen die junge Zielgruppe erreichen.
Neben den sozialen Medien spielen insbesondere Plattformen wie kununu eine große Rolle bei Jobsuchenden. 3 von 4 nutzen sie, um sich über potenzielle Arbeitgeber:innen zu informieren. Dabei erhalten sie unter anderem durch Bewertungen von aktuellen und ehemaligen Mitarbeitenden sowie durch Arbeitgeberkommentare authentische Einblicke in die Unternehmenskultur.
Das unterstreicht eine weitere wichtige Rolle der aktuellen und ehemaligen Mitarbeiter:innen: Sie können wichtige Botschafter:innen Ihrer Arbeitgebermarke sein. Aber auch Ihre eigene Reaktion auf Bewertungen als Arbeitgeber:in ist von großer Bedeutung und sogar für rund 60 Prozent der Nutzer:innen bewerbungsrelevant, so die Ergebnisse der oben erwähnten Trendence-Studie. Weniger bekannte Tools wie Fishbowl, Comparably oder Fairygodboss zeigen hingegen, in welche Richtung sich der Arbeitsmarkt entwickelt.
Globaler Arbeitsmarkt erfordert angepasstes Employer Branding
Lassen Sie uns noch bei der Frage bleiben: Wo halten sich meine potenziellen Kandidat:innen auf? Viele innovationsaktive KMU in Deutschland sind global tätig – was sowohl für Absatzmärkte als auch für den Arbeitsmarkt gilt. Der internationale Arbeitsmarkt ist stark umkämpft und eine rein regionale Betrachtung ist nicht mehr zeitgemäß. In Zeiten von Remote und Hybrid Work müssen Zielgruppen und Personas daher neu definiert werden. Rekrutiert wird inzwischen – zumindest theoretisch – weltweit! Proaktive Kommunikation sowie Dialoge auf Augenhöhe sind für die Wettbewerbsfähigkeit von KMU unverzichtbar. Das steigert die Anforderungen an ein modernes Employer Branding, bietet zugleich aber neue Chancen.
Fazit
Der Fachkräftemangel stellt aktuell in Verbindung mit dem demografischen Wandel ein massive Herausforderung dar. Zusätzlich steigen die Erwartungen an die Arbeitswelt, insbesondere bei den jüngeren Generationen. KMU müssen also aktiv werden, um im Rennen um qualifizierte Mitarbeitende überzeugen zu können. Sie sollten eine klare und authentische Arbeitgebermarke entwickeln, die nicht nur bestehende Mitarbeitende bindet, sondern auch potenzielle Kandidat:innen anspricht. Zusätzlich müssen Arbeitgeber:innen ihre Unternehmenskultur sowie Arbeitsbedingungen kontinuierlich an die sich wandelnden Bedürfnisse anpassen. Dabei können besonders KMU aufgrund ihrer oftmals größeren Flexibilität mit Stärken locken, die Großunternehmen nicht bieten können. Also: Machen Sie sich diese zunutze und zeigen Sie, was sie ausmacht!
Marcus Merheim ist seit mehr als elf Jahren in der HR-Welt unterwegs und setzt sich dabei mit den unterschiedlichsten Personalthemen auseinander. Inhaltlich liegt sein Fokus auf Employer Branding, Recruiting und Retention sowie New Work und Digitalisierung. Als Gründer von hooman EMPLOYER MARKETING agiert er mit seinem Team an der Schnittstelle von HR und Marketing. Neben seiner Funktion als Host des ZEIT Talent Podcasts ist Marcus Merheim Vorsitzender des Ressorts „Arbeitswelt der Zukunft“ beim Bundesverband Digitale Wirtschaft.
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